25 August 2019

Gruselfaktor in Neapel - Der Friedhof Fontanelle

Wenn es um Neapel geht, denken die meisten zuerst an Pizza, Kriminalität und den Vesuv. Doch die Stadt birgt auch eine völlig andere Seite, in der Aberglaube eine große Rolle spielt.

Taucht ein in die schaurige Unterwelt des Cimitero delle Fontanelle...





Sterbliche Überreste wohin das Auge reicht
Abseits der Gassen der trubeligen Altstadt und weit weg vom Tourismus liegt Sanità - Ein dicht besiedeltes, eher unauffälliges Viertel im Stadtteil Stella. Kaum jemand würde ausgerechnet hier, in einer der ärmsten Gegenden Neapels, eine Besonderheit wie den geheimnisvollen Friedhof vermuten.

Wer eine Parkanlage oder ähnliches erwartet, wird überrascht sein, denn der Cimitero delle Fontanelle ist eine unterirdische, katakombenähnliche Grotte und gleicht eher einem Beinhaus. Die düstere Tuffsteinhöhle ist in drei trapezförmige, etwa 15 m hohe Bereiche unterteilt, von denen mehrere verwinkelte Korridore weiter in die Dunkelheit hineinführen. Auf einer Gesamtfläche von ca. 3.000 m² findet man hier um die 40.000 Knochen!



Die Höhle
Oberhalb der Stadt verliefen zur damaligen Zeit vier kleine Quellen (ital. Fontanelle), die sich durch den massig vorhandenen Tuffstein zogen. Auf ihrem Weg hinunter ins Tal trugen sie die Tuffsteinfelsen im Laufe der Jahre ab, sodass regelmäßig Schlamm und Geröll die etwa 2 km entfernte Via dei Vergini entlang gespült wurden. Die heutige Via Fontanelle, in der sich die unheimliche Ruhestätte befindet, war infolgedessen nichts anderes als ein trübes Flussbett. Neben der Friedhofsgrotte existieren übrigens noch zahlreiche weitere Höhlen an den damaligen Ufern und heutigen Straßenrändern, aus denen bis zum 20. Jahrhundert Tuffstein zum Ausbau der Stadt gewonnen wurde.



Nutzung als Massengrab
Der Friedhof ist Zeitzeuge einer düsteren Epoche der neapolitanischen Geschichte und führt zurück in das 16. Jahrhundert. Bis zu diesem Zeitpunkt war es in Neapel üblich, die Toten innerhalb der örtlichen Kirchen beizusetzen. Wenn dort jedoch kein Platz mehr vorhanden war, wurden die älteren Leichname nachts unbemerkt ausgegraben und anschließend in leere Höhlen zusammengepfercht. 


So auch in der Höhle des heutigen Friedhofs Fontanelle, der offiziell erst Mitte des 17. Jahrhunderts als Ruhestätte bestimmt wurde. Ausschlaggebend hierfür war die verheerende Pest, die über die Hälfte der Neapolitaner in den Tod riss. So wurde die Tuffsteingrotte aus Platzmangel zu einem riesigen Massengrab, in dem die Leichen fortan gesammelt abgelegt wurden. Im Laufe der Zeit folgten weitere Katastrophen wie eine verheerende Hungersnot, blutige Volksaufstände, heftige Erdbeben und fünf Ausbrüche des unberechenbaren Vesuvs. Während all dieser Tragödien diente der Friedhof weiterhin als Grabstätte etlicher Toter.


Im Jahre 1764 verordnete das Gesundheitskomitee der Stadt schließlich, auch die Toten aus Neapels Armenvierteln auf dem Cimitero delle Fontanelle zu bestatten, da die städtischen Kirchen hoffnungslos überfüllt waren. Das Anlegen einer größeren Begräbnisstätte wurde notwendig, und so wurde der Friedhof 1810 erweitert. Nach Ausbruch der Cholera im Jahre 1837 wurden erneut mehrere tausend Leichen in der Friedhofshöhle angehäuft. Noch im gleichen Jahr erging schließlich ein Verbot, die Toten in die umliegenden Kirchen innerhalb der Stadt zu begraben, sodass weiterhin unzählige Tote auf dem Friedhof Fontanelle abgelegt wurden.


Die Gebeine von Donna Margherita Petrucci
Danach geriet die Ruhestätte zunächst eine Weile in Vergessenheit. Ein Priester namens Gaetano Barbati machte es sich 1872 schließlich zur Aufgabe, die Gebeine der verstorbenen Seelen gemeinsam mit einigen Frauen aus der Gemeinde zu sortieren. Hand in Hand brachten sie die unzähligen Knochen behutsam in ihre heutige Anordnung. Eine Personenzuordnung war natürlich nicht mehr möglich. Mit Ausnahme der Skelette des Grafen Filippo Carafa (✝1797) und seiner Frau Donna Margherita Petrucci (1795): Ihre Überreste sind in einem gläsernen, mit Staub bedeckten Sarg im linken Bereich des Friedhofs zu finden. Dem Priester wurde übrigens eine Statue gewidmet, die sich ebenfalls in der Höhle befindet.



Der mysteriöse Kult
Obwohl die unzähligen Toten aus der Not heraus nicht angemessen bestattet wurden, hat man ihre Existenz jedoch nicht vergessen: Im Laufe der Zeit entwickelte sich in Neapel ein spezieller Kult, der den Verstorbenen mit Hingabe gedachte. Viele der Einwohner gingen in die Tuffsteinhöhle, um den Schädeln der verlorenen Seelen (ital. Capuzzelle) ihren Respekt zu erweisen. Sie beteten für die Schädel und ehrten sie wie einen Teil der eigenen Familie. Das "Anime pezzentelle" genannte Ritual sollte die Qualen der Seelen im Fegefeuer lindern, dem diese dem Glauben nach ausgesetzt waren.


Diese Capuzzelle haben ihren Dienst erfüllt
Als Gegenleistung sollte die jeweilige Seele dem Fürbitter einen Gefallen tun. Wenn der Schädel "seine Arbeit tat" und sich somit als Bereicherung für den Gläubigen erwies, wurde er je nach finanzieller Möglichkeit in ein Tabernakel oder einem anderen Behältnis untergebracht, welches sodann mit der Inschrift "Per grazia ricevuta" (deutsch: Für die empfangene Gnade) verziert wurde. Diese Inschrift war wichtig, da das Ritual eine Art Vermittlung zwischen dieser Welt und dem Reich der Toten war und zum Ausdruck bringen sollte, dass die Beziehung zwischen dem Schädel und der fürbittenden Person auf gegenseitige Dankbarkeit beruhte.



Verschiedene Opfergaben für die Capuzzelle
Noch heute sind etliche Wünsche auf dem Friedhof ausgelegt: Gesundheit, Schönheit, Glück in der Liebe und im Job, sowie ein langes Leben sind nur einige der Dinge, die nach wie vor in Form von Briefen, Geschenken und persönlichen Gegenständen erbeten werden.

Um einige Schädel ranken sich außerdem mysteriöse Geschichten, die für Gänsehaut sorgen. So ist der "schwitzende Schädel" (ital. La capa che suda) von Donna Concetta im Gegensatz zu den anderen Capuzzelle  aus unerklärlichen Gründen immer poliert und nass. Ein weiterer berühmter Schädel ist der des Kapitäns (ital. Il Capitano). Was es mit den beiden geheimnisvollen Schädeln auf sich hat, erfahrt ihr in diesem Artikel! Seid gespannt!


Infos & Öffnungszeiten
Der Friedhof ist täglich von 10:00 Uhr - 17:00 Uhr geöffnet. Aufgrund der schwierigen Parksituation empfiehlt sich die Anfahrt mit der Metro, Linie 2. Der anschließende Fußweg dauert nur etwa 10 Minuten. An der Haltestelle "Materdei" steigt ihr aus und folgt den Stufen des linken Ausgangs (Via G. Appulo). Oben angekommen biegt ihr links in die erste Straße ab und folgt ihr bis zum Ende. Dort befinden sich Treppen, die euch hinab führen. Unten angekommen folgt ihr der Straße linkerhand. Nach kurzer Zeit seht ihr ein buntes Haus auf der linken Seite. Ein paar Meter dahinter befindet sich der Eingangsbereich des Friedhofs.


Der Besuch des Cimitero delle Fontanelle ist übrigens kostenlos und Fotos sind ausdrücklich erlaubt. Man kann die Schädel ungestört aus nächster Nähe betrachten. Damit dies auch so bleibt, sollte ein ruhiges und respektvolles Verhalten selbstverständlich sein. 

Der Kulturverein Insolitaguida bietet auf seiner Homepage übrigens eine zweistündige Führung an, die neben dem Besuch des Friedhofs auch einen Rundgang durch das Stadtviertel Sanità beinhaltet. Der Preis für Erwachsene beträgt 40 €, Kinder im Alter von 6 bis 15 Jahren zahlen die Hälfte. Die Tour steht in den Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch zur Verfügung. Termine können telefonisch unter (+39) 338 965 22 88 oder per E-Mail an info@insolitaguida.it vereinbart werden. 


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1 Kommentar:

  1. Eine sehr interessante und spannende Geschichte. Normalerweise interessiert mich Geschichte nicht so sehr, doch du hast wieder einmal mit deinem kreativen Schreibstil bewiesen, dass auch "alte Geschichte" interessant sein kann. Besonders gefallen, hat mir das mit dem schwitzenden Schädel sowie der Höhle, in dem ein gläsener Sarg aufgebart ist. Gruselig aber spannend zugleich. Ich freue mich auf deine nächsten Storys ;-)

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